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Inklusive Arbeitswelt

Saliya Kahawatte: eine Frage der Haltung

Saliya Kahawatte, Jahrgang 1969, verliert mit 15 Jahren über Nacht 90 Prozent seines Sehvermögens. Auf den Schock folgt Enttäuschung. Er soll die Schule verlassen und in einer Blindenwerkstatt arbeiten. Doch sein Wunsch: ein selbstbestimmtes Leben. Er verschweigt seine Behinderung, macht eine Ausbildung und Karriere in der Hotellerie und Gastronomie. Bis heute war es ein langer, oft schmerzlicher Weg: Alkohol, Drogen, Suizidversuche. Doch Saliya Kahawatte schafft es: Er studiert und wird aus Hartz IV heraus zum Unternehmer. Sein Rat für Arbeitgeber: „Erkennen Sie Potenziale!“ Seine Autobiografie „Mein Blind Date mit dem Leben“ kam im Januar 2017 in die Kinos. Hier ist seine Geschichte.
 

Porträtfoto: Saliya Kahawatte.

Wissen heißt nicht Erkennen

Saliya Kahawatte erleidet mit 15 Jahren eine Netzhautablösung und verliert über Nacht 90 Prozent seiner Sehfähigkeit. Trotzdem möchte er selbstbestimmt leben und eine Ausbildung in der Hotellerie machen, wendet sich an die Arbeitsagentur. Der Berater schmettert ihn ab, er solle eine Werkstatt für behinderte Menschen besuchen und Masseur werden. „Leider wurde ich dort auf meine Behinderung reduziert“, erinnert sich Saliya Kahawatte und sagt rückblickend. „Ich möchte aber beraten, nicht belehrt werden. Wissen heißt nicht Erkennen – der Berater selber hatte schließlich keine Behinderung.“

Aha!

Das Film-Event zum Auftakt der Kampagne „Inklusion in Bayern – Wir arbeiten miteinander“ war für Saliya Kahawatte ein richtiger und wichtiger Schritt. Über 350 Gäste besuchten am 15. März 2017 das Event „Zukunft Inklusion“ im Mathäser Filmpalast in München. Der Abend brachte spannenden Austausch und viele Informationen zum Thema: Die Gäste sahen den Film „Mein Blind Date mit dem Leben“, anschließend gab es eine Podiumsdiskussion.

Alle Infos zum Kampagnen-Start lesen Sie hier.

Schulung der Sinne

Mithilfe seiner Familie schafft Saliya Kahawatte das Abitur auf der Regelschule – durch Zuhören und nächtelanges Auswendiglernen. Er startet eine Ausbildung in der Hotellerie. Seine Behinderung verschweigt er. Im Laufe der Ausbildung baut er ein Netzwerk vertrauter Mitwisser auf. „Ohne sie hätte ich es nicht geschafft.“ Weil er kaum etwas sieht, nutzt er (bis heute) seine anderen Sinne – er erkennt Wege an der Zahl der Schritte, saubere Gläser am Klang und Stammgäste an ihrer Stimme. Im Laufe seiner Ausbildung kommt er immer wieder an seine Grenzen, droht zu scheitern. Kurz vor seinem Abschluss fliegt er auf und wird entlassen. Doch er darf seine Ausbildung abschließen – nachdem er seinen Chef um eine Chance bittet.

Was man braucht, um seine Träume zu verwirklichen: Mut, Entschlossenheit und Vorstellungskraft.

Anschließend arbeitet Saliya Kahawatte in mehreren Hotels. Wieder verschweigt er seine Behinderung. Weil sein Vater die Familie verlässt und in seine Heimat Sri Lanka zurückkehrt, unterstützt Saliya Kahawatte seine Mutter finanziell. Tagsüber arbeitet er im Hotel an der Bar und im Service, nachts in einer Backstube. Er kennt über 200 Weine und etliche Cocktailrezepte, ertastet Flaschen, merkt sich ihre Anordnung an der Bar, hört, wann ein Glas passend gefüllt ist. Mit 24 Jahren leitet er gemeinsam mit seiner damaligen Partnerin ein eigenes Restaurant, muss aber nach vier Jahren Insolvenz anmelden. Immer wieder versucht er, den Stress und seine Sorgen zu vergessen – durch Alkohol und Medikamente. Auch mehrere Suizidversuche hat er hinter sich.

„Plädoyer für Inklusion“

Saliya Kahawatte gibt nicht auf. Für ihn ist klar: Er möchte eine kaufmännische Ausbildung absolvieren, besucht Computerkurse in einer Werkstatt für behinderte Menschen. „Aber ich hörte von allen Seiten immer nur ‚Hören Sie auf zu träumen‘“. Über das Berufsförderungswerk (BFW) schließt er schließlich eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich ab und absolviert im Anschluss ein Management-Studium – als erster hochgradig Sehbehinderter. Er besteht sein Diplom mit der Note „sehr gut“. Danach: erneute Ernüchterung. Auf 250 Bewerbungen im Hotelmanagement, in denen er seine Behinderung offenlegt, erhält er 250 Absagen. „Es gab nicht mal eine Einladung zum Vorstellungsgespräch“, betont er.

Heute sagt er: „Stigmatisierung ist ein Problem. Ich habe andere Fähigkeiten.“ Er weiß auch: „Man muss mehr leisten, wenn man eine Behinderung hat.“ Saliya Kahawatte hat viel geleistet. Er war Streetworker, lange Zeit arbeitslos. 2006 gründet er aus Hartz IV heraus ein Beratungsunternehmen. „Die ersten zwei Jahre waren hart, ich hatte keine Kunden, kein Geld“, beschreibt er seine damalige Situation. „Dann habe ich meine Geschichte aufgeschrieben, 2009 wurde mein Buch veröffentlicht und später verfilmt.“ Für ihn ist der Kinofilm „ein Plädoyer für Inklusion“.

Chancen geben, Chancen nutzen

„Motivation ist ein Schmierstoff für gutes Gelingen – was zählt, ist die Haltung“, ist Saliya Kahawatte überzeugt. Für ihn steht die Arbeit, die ein Mensch leistet, im Vordergrund – nicht seine Behinderung. „Was man braucht, um seine Träume zu verwirklichen? Mut, Entschlossenheit und Vorstellungskraft.“ Und was rät er anderen Menschen mit einer Sehbehinderung? „Dass sie mit der Behinderung umgehen, aber als Teil der sehenden Welt.“ Die Taktung der sehenden Welt müsse man als nicht Sehender erst lernen. „Deshalb bin ich für Frühförderung“, betont Saliya Kahawatte. „Dann könnten auch viele Menschen mit einer Sehbehinderung eine Regelschule besuchen – wenn der Wille da ist und die Einstellung stimmt.“ Er rät außerdem dazu, offen mit der Behinderung umzugehen. „Ich habe das nicht gemacht und bin daran fast zerbrochen.“

Porträtfoto: Saliya Kahawatte.

Saliya Kahawatte hat gelernt, mit seiner Behinderung zu leben – nicht gegen sie zu arbeiten.

Was raten Sie Arbeitgebern?

„Es kommt darauf an, den Menschen und seine Potenziale zu erkennen – seinen Fleiß und sein Engagement. Menschen mit Sehbehinderung können sich oft viel besser und länger konzentrieren als Sehende. Sie haben Energie und speichern Fakten lange ab“, sagt Saliya Kahawatte und ergänzt: „Natürlich ist jeder Fall ein Einzelfall. Aber Arbeitgeber sollten Menschen mit Behinderung eine Chance geben, sie ermutigen, etwas auszuprobieren.“

Vollblutunternehmer & Buddhist

Heute leitet Saliya Kahawatte mehrere Unternehmen. Als Business-Coach berät er z. B. Menschen auf einem schwierigen Lebensweg, Frauen, die sich selbst verwirklichen wollen, Existenzgründer, Menschen mit Behinderung, die sich selbstständig machen wollen. Und was rät er einem Jugendlichen mit Behinderung, der einen Berufswunsch hat? „Mach die Schule, mach einen Abschluss – immer Schritt für Schritt. Aber tu es.“ Er ist für klare Ansagen: nicht reden, sondern machen. „Alle reden von Fachkräftemangel – aber wo sind die Anwälte und Manager mit Behinderung? Ich wünsche mir mehr davon. Dies müsste noch viel selbstverständlicher werden.“

Mit seiner Stiftung, „ein Unterstützer-Netzwerk“, ist der praktizierende Buddhist international tätig. Seine Vision: sehbehinderte bzw. blinde Menschen zusammen- und in den Arbeitsmarkt zu bringen, durch Austausch und Beratung. „Ich wünsche mir eine bessere Beratungskompetenz von Betroffenen im ersten Arbeitsmarkt.“

Menschen mit Sehbehinderung können sich oft viel besser und länger konzentrieren als Sehende. Sie haben Energie und speichern Fakten lange ab.

 Heute schätzt er die technischen Möglichkeiten, die ihm den Alltag, aber vor allem die Arbeit erleichtern: Er nutzt ein mobiles Lesegerät und einen sprechenden Laptop. „Die Technik kompensiert meine Behinderung.“ Herausforderungen gibt es trotzdem. Als der Supermarkt seines Vertrauens umgebaut wurde, war danach nichts mehr an seinem alten Platz. „Da habe ich tatsächlich Osterglocken statt Frühlingszwiebeln gekauft“, erzählt Saliya Kahawatte schmunzelnd. Eine Woche hat es gedauert, bis er sich wieder genau auskannte.

Glossar

Berufsförderungswerk (BFW)

Ein Berufsförderungswerk (BFW) ist eine berufliche Fördereinrichtung zur passgenauen Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Dabei arbeiten die Berufsförderungswerke eng mit den Reha-Trägern wie Deutscher Rentenversicherung und Berufsgenossenschaften sowie in Kooperation mit sozialen Dienstleistungsunternehmen zusammen. Ein BFW ist auf die besonderen Belange von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen eingerichtet. Es gibt medizinische, sozialpädagogische und psychologische Fachdienste zur Unterstützung der Rehabilitanden während der Ausbildung. Im Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke sind die 28 Berufsförderungswerke organisiert. Im Bundesarbeitskreis Berufsförderungswerke finden sich weitere sechs staatlich anerkannte Berufsförderungswerke in privater Trägerschaft.