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Inklusive Arbeitswelt

Auf das Klima kommt es an

Diana F. ist schon da, als wir den Raum betreten. Sie sitzt am Tisch und unterhält sich mit der Gebärdensprachdolmetscherin. Vor ihr steht ein großer Bildschirm mit schwarzem Hintergrund. „Guten Tag Frau F., schön Sie zu treffen“ – der Text erscheint in weißen Buchstaben auf dem Monitor, blitzschnell eingetippt von der dritten Frau im Raum, der Schriftdolmetscherin. Diana F. antwortet gebärdend, die Gebärdensprachdolmetscherin übersetzt. Diana F. ist gehörlos und hat einen Sehrest von weniger als fünf Prozent. Damit gilt sie als taubblind. Als einer der wenigen taubblinden Menschen in Deutschland arbeitet sie in einem hoch qualifizierten Beruf – als Buchhalterin. Wir haben mit ihr gesprochen – über ihre Wünsche, ihren Beruf und warum eine Ampel lebenswichtig sein kann.
 

Porträtfoto: Diana F.

Von hundert auf fünf

Diana F. ertaubt „nach einer falschen ärztlichen Behandlung“ als Kind. Unterstützt wird sie von ihren Eltern, die ihrer Tochter eine gute Ausbildung ermöglichen wollen. Sie besucht eine Regelschule, macht Abitur, studiert Elektrotechnik. In dieser Zeit lässt ihre Sehstärke nach. „In der Schule und im Studium konnte ich noch gut sehen und vom Mund ablesen. Danach hat sich meine Sehkraft verschlechtert – konstant, nach und nach über mehrere Jahre“, schildert Diana F. Heute hat sie ein Sehvermögen von unter fünf Prozent; sie sieht nur, was sich direkt in ihrem zentralen Blickbereich befindet – wie durch einen Tunnel.

Gesprächssituation: Schriftdolmetscherin, Gebärdensprachdolmetscherin und Diana F. sitzen an einem Tisch.

Mit hörenden Menschen – ob beim Bäcker oder in der Apotheke – kommuniziert Diana F. mit Stift und Papier. Für wichtige Gespräche, z. B. im Krankenhaus, benötigt sie Dolmetscherinnen oder Dolmetscher.

Unser Interview: Die Schriftdolmetscherin (hinten links) tippt den Text ein oder spricht ihn in ihr Mikrofon. Ihre Worte erscheinen direkt in großer Schrift auf einem Bildschirm. Von diesem liest Diana F. (rechts) ab und antwortet in Gebärden. Die Gebärdensprachdolmetscherin (vorne links) übersetzt.

„Ich wollte arbeiten!“

Heute arbeitet Diana F. 25 Stunden pro Woche in der Buchhaltung eines Unternehmens mit rund 70 Beschäftigten – sie ist einer der wenigen taubblinden Menschen in Deutschland, die berufstätig sind. Der Weg dahin war schwierig: Nach dem Studium fand Diana F. keine feste Arbeit; sie jobbte gelegentlich, machte eine fünfjährige Pause, gründete eine Familie. „Mir war klar, dass ich wegen meiner fehlenden Sehkraft nicht im Bereich Elektrotechnik arbeiten kann“, erinnert sie sich. „Ich musste akzeptieren, dass ich zwei Behinderungen habe und dass dadurch mein Traumberuf schlichtweg nicht möglich ist.“ Doch für die junge Frau stand fest: Sie möchte arbeiten. „Das war nicht einfach“, sagt sie, „ich wusste nicht, wie ich es anstellen soll. Meine Eltern haben mich immer wieder ermutigt, es zu versuchen.“

Aha!

Der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund e. V. (BBSB) bietet in zehn Beratungs- und Begegnungszentren in Bayern Hilfe für blinde und sehbehinderte Menschen an. Die Selbsthilfeorganisation vertritt die Interessen der Betroffenen gegenüber der Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Viele Beraterinnen und Berater sind selbst betroffen. Auch Personen, bei denen es aufgrund einer Erkrankung zu Blindheit oder einer Sehbehinderung kommen kann, finden hier Unterstützung. Das Ziel: ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft.

Das leistet der BBSB:

  • Rehabilitationsdienst: u. a. Schulungen in Orientierung, Mobilität und Kommunikationstechniken
  • Beratung zu Hilfsmitteln
  • Training in selbstständiger Haushalts- und Lebensführung
  • Sozialrechtliche Unterstützung
  • Beratung zur beruflichen Teilhabe
  • Austausch in einem großen Netzwerk

Hilfe findet sie schließlich beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB). Zusammen mit ihrer Beraterin sucht sie in vielen Gesprächen nach Möglichkeiten. „Ich wollte unbedingt arbeiten – ehrlich gesagt war es mir egal, was.“ Es muss etwas sein, bei dem Diana F. wenig kommunizieren und viel mit dem Computer arbeiten kann. „Ich interessiere mich sehr für Mathematik und alles, was mit Zahlen zu tun hat“, erzählt sie. „So kamen wir auf die Idee, dass Buchhaltung gut passen würde.“ Zusätzlich unterstützt von der Agentur für Arbeit und dem Integrationsfachdienst (IFD), absolviert Diana F. als einzige taubblinde Teilnehmerin ein neunmonatiges Programm beim Arbeitsmarkt-Dienstleister Salo in München. Das Unternehmen bietet u. a. Schulungen zur Berufskunde sowie Bewerbungstrainings an und vermittelt Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Drei Monate lang werden hier Diana F.s Fähigkeiten und Interessen geprüft. Danach lernt sie in kurzer Zeit alle gängigen Computerprogramme, besucht Intensivkurse an einer Schule für blinde und sehbehinderte Menschen und ist „anschließend tatsächlich Buchhalterin“. Heute ist sie sicher: „Das war genau die richtige Entscheidung. Bei mir hat die Inklusion schon funktioniert.“

Aha!

Der Integrationsfachdienst (IFD) ist in unterschiedlichen Bereichen tätig: Dazu gehört die Vermittlung, also die Unterstützung bei der beruflichen Orientierung und Arbeitssuche. Außerdem gibt es den Beruflichen Sicherungsbereich: Wenn bereits ein Arbeitsverhältnis besteht, ist der IFD Ansprechpartner für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Wichtig: Arbeitgeber und Beschäftigte können sich jederzeit an den IFD wenden und werden individuell unterstützt. Das bedeutet Sicherheit für beide Seiten.

Geduld & Konzentration

Nach einem Praktikum bei ihrem jetzigen Arbeitgeber bekommt Diana F. eine feste Stelle in der Buchhaltung und arbeitet hier bis heute – seit fast 15 Jahren. „Es war mir immer sehr wichtig, zu arbeiten“, betont sie. „Ich muss meinen Lebensunterhalt verdienen, ich habe Familie – wovon hätten wir sonst leben sollen?“ Und wie kommt sie in der Arbeit zurecht? Am Anfang ist es schwierig, aber mit der Zeit gewöhnt sich Diana F. an die Situation und das Arbeitsumfeld. „Für mich ist das Klima im Team unheimlich wichtig“, erklärt sie und betont: „Wenn das stimmt, dann kann Inklusion gelingen!“

Wenn das Klima im Team stimmt, kann Inklusion gelingen.

Mit ihren Kolleginnen und Kollegen arbeitet sie eng zusammen. Die Kommunikation war am Anfang eine große Herausforderung. Weil Diana F. sehr früh ihr Gehör verloren hat, fehlt ihr eine konkrete Vorstellung von Lautsprache. Ihre Aussprache ist deshalb teilweise undeutlich, einige Wörter deutet sie nur an. „Aber mit der Zeit haben alle im Unternehmen gelernt, mich zu verstehen“, freut sich Diana F. Sie redet ruhig und langsam, die anderen antworten ihr schriftlich – per Computer oder auf dem Papier mit einem dicken Filzstift. „Wir lernen viel voneinander: zum Beispiel geduldig zu sein und konzentriert zu arbeiten“, erzählt Diana F. Mit Kunden kommuniziert die Buchhalterin nur über den Computer. Telefonate übernehmen die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Abteilung.

Porträfoto: Diana F.

Diana F. schätzt den Austausch mit Menschen und ist viel unterwegs.

Diana F. wünscht sich von Arbeitgebern, dass Menschen mit Behinderung eine Chance bekommen – „es geht um Geduld und Verständigung, nicht um Konkurrenz.“ Ihre Stärken im Beruf: „Wenn ich im Urlaub bin, dann vermissen mich die Kollegen – ich bin ein geselliger und teamorientierter Mensch.“

Neben der Atmosphäre im Büro schätzt Diana F. die Vielfalt ihrer Arbeit. Sie erledigt Buchungen für ihre Kunden, pflegt Rechnungsdaten ein, überprüft Finanzen und bearbeitet Schecks. „Es ist nicht jeden Tag das Gleiche, die Arbeit bleibt immer spannend – das motiviert mich.“

Es war mir sehr wichtig, zu arbeiten! Um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich habe Familie – wovon hätten wir sonst leben sollen? Ohne Arbeit wäre das nicht möglich gewesen.

Wichtig für Diana F.: Ihr Arbeitsplatz ist technisch gut ausgestattet – mit drei Monitoren und einer speziellen Software, die die Darstellung in jedem Programm vergrößern kann. Damit kann sie Briefe, Rechnungen und Tabellen gut lesen. Bei der Frage danach, was sie an ihrem Job nicht so gern mag, muss Diana F. lange überlegen und sagt schließlich: „Das Einzige, was manchmal schwierig für mich ist, ist die Bildschirmbeleuchtung am PC. Aber sonst fällt mir nichts ein – ich habe einen wunderschönen Beruf.“

Wenn ich im Urlaub bin, dann vermissen mich die Kollegen.

Sicher zur Arbeit?

Die größten Herausforderungen begegnen Diana F. nicht am Arbeitsplatz, sondern auf dem Weg dorthin. „Es ist ein riesiges Problem für mich, Straßen zu überqueren – vor allem ohne Ampel oder Zebrastreifen“, schildert sie. Direkt vor ihrem Büro befindet sich eine solche Straße. „Ich kämpfe schon seit 2011 für eine Ampel oder einen Zebrastreifen und damit für einen sicheren Übergang für alle – bis jetzt hat sich noch nichts getan“, ärgert sich Diana F. Und wie schafft sie es, die Straße jeden Tag zu überqueren? „Wenn andere Passanten in der Nähe sind, lasse ich mir gerne helfen. Aber wenn ich allein bin, muss ich irgendwann einfach loslaufen. Ich gehe langsam und vorsichtig – aber das ein oder andere Mal hat schon mal ein Auto scharf bremsen müssen.“ Zur Arbeit fährt sie mit der U-Bahn und muss auch umsteigen. „Das ist meist kein Problem, weil Bahn und Bahnsteig gut beleuchtet sind“, erklärt Diana F. Beim Treppensteigen muss sie vorsichtig sein, aber es klappt.

Diana F. liest einen Text vom Bildschirm ab und gebärdet.

Große Schrift kann Diana F. gut lesen – ob am Computer oder auf Papier.

Um gut am Computer arbeiten und lesen zu können, braucht Diana F. eine spezielle Software mit Zoomfunktion und individueller Farbeinstellung. Die passende Einstellung für sie: weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund.

Auf Achse

Nicht nur im Berufsleben wünscht sich Diana F. Abwechslung. Auch in ihrer Freizeit ist sie sehr aktiv, liest gern und reist viel. Wie funktioniert das mit dem Lesen? Früher hat sie Bücher mit einer elektronischen Lupe gelesen, was aber auf Dauer unpraktisch wurde („Das Kabel hat mich gestört“). Spezielle E-Books waren die Rettung. „Ich habe drei Jahre nach einem Gerät mit weißem Text auf schwarzem Hintergrund gesucht“, berichtet Diana F. „Meine Familie hat etwas Passendes gefunden und mir geschenkt“, freut sie sich und ergänzt: „Seitdem lese ich noch mehr.“ Gibt es weitere Hilfsmittel? „Zu Hause habe ich einen normalen Computer; ansonsten nutze ich meinen Langstock. Und was ganz wichtig ist: meine Lupe, die brauche ich immer.“ Und wie bekommt sie mit, wenn es an der Tür läutet? „Ich nutze eine Blitzlicht-Klingel für gehörlose Menschen.“ Neuerdings hat sie ein Gerät, das sie am Körper trägt – es vibriert z. B., wenn es läutet, der Rauchmelder anspringt oder das Babyphone Geräusche macht, „das ist sehr praktisch“.

Nahaufnahme: Diana F. gebärdet.

Mit anderen taubblinden Menschen kommuniziert Diana F. über taktile Gebärdensprache oder Lormen.

Elektronische Lupe vergrößert einen Text.

Wichtiges Hilfsmittel: Ihre elektronische Lupe nutzt Diana F. täglich, hat sie immer dabei.

Und wie ist das mit dem Reisen? „Ich reise europaweit“, erzählt Diana F. Dabei muss sie viel organisieren, denn eine Assistenz zu bekommen ist oft schwierig. Einfacher ist es, wenn sie nur in Deutschland reist – vor allem bei Kurzurlauben. Diana F. nutzt dann vor allem die Angebote des Fachdienstes Integration Taubblinder Menschen (ITM), der sich für die Belange von Menschen mit eingeschränkter Hör- und Sehkraft einsetzt.

In ihrer Freizeit verbringt Diana viel Zeit mit ihrer Familie und trifft sich auch manchmal mit Kolleginnen und Kollegen. Zu nichtbehinderten Menschen hat sie sonst weniger Kontakt, dafür umso mehr zu anderen taubblinden Menschen in ganz Deutschland. Mit ihnen trifft sie sich regelmäßig – teilweise in Begleitung. „Ich bin viel unterwegs, ständig auf Achse.“ Stillstand scheint für Diana F. keine Option zu sein.