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Inklusive Arbeitswelt

Gemeinsam leistungsstark

Fast 14.000 Beschäftigte, 50 verschiedene Berufsbilder, bis zu 22 Ausbildungsberufe – der Münchner Chemiekonzern Wacker hat seit vielen Jahren auch eines immer im Fokus: die Vielfalt. Die unterschiedlichen Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch die Vielfalt und Flexibilität der Arbeitsprozesse prägen die Unternehmenskultur. Das bedeutet auch: Wertschätzung für alle Beschäftigten – unabhängig von z. B. Geschlecht, Nationalität oder Religion. Dasselbe gilt für Menschen mit Behinderung. Wir haben mit der Leiterin Zentralbereich Personal und Soziales, Angela Wörl, gesprochen. Für sie steht fest: Inklusion ermöglicht Vielfalt und ist ein echter, nachhaltiger Gewinn – für Unternehmen und die ganze Gesellschaft.

Porträtfoto: Angela Wörl.

Über Angela Wörl

Angela Wörl hat 1995 als Juristin bei Wacker angefangen und zunächst in der Rechtsabteilung gearbeitet. Weil sie mehr mit Menschen arbeiten wollte, wechselte sie nach weiteren Stationen in den Bereich Human Resources (HR). Sie war zuständig für Personalentwicklung sowie internationale HR, hat die Personalabteilung für die oberen Führungskräfte geleitet. Anschließend legte sie bei Wacker eine Pause von drei Jahren ein, um in Asien zu leben und zu arbeiten. Seit 2015 leitet sie den Zentralbereich Human Resources bei Wacker und ist weltweit verantwortlich für die Personalarbeit.

Interview: Der einzelne Mensch zählt

Die Lebensarbeitszeit steigt, oft fehlen Nachwuchskräfte. Das Durchschnittsalter in den Belegschaften nimmt zu – und damit auch der Anteil von Beschäftigten, die eine Behinderung erwerben. Frau Wörl, welche Herausforderungen sehen Sie für Wacker?

Die Frage richtet sich an die Gesellschaft und an die Unternehmen. Herausforderungen sind für uns, Entwicklungsperspektiven zu bieten – also Aufgaben sinnvoll und an den Kompetenzen der Mitarbeiter orientiert zu definieren, Arbeitsplatzwechsel zu ermöglichen und die Beschäftigungsfähigkeit zu sichern. Gesundheit ist hier ein wichtiger Aspekt – nicht erst seit Kurzem. Sie ist ein wesentliches Element in unserer Personalarbeit und umfasst z. B. die Gesundheitsvorsorge. Viele Einschränkungen entstehen mit zunehmendem Lebensalter. Deshalb ist Prävention ganz wichtig. In unseren Gesundheitsaktionen und -angeboten setzen wir immer wieder unterschiedliche Schwerpunkte, z. B. im Thema Rückengesundheit. Wir erfassen, in welchen Bereichen die Beschäftigten besonderen Belastungen ausgesetzt sind und unterstützen sie dann gezielt. Natürlich ist es uns auch wichtig, auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung besonders einzugehen. Prävention hilft, die Gesundheit zu erhalten und langfristig Einschränkungen zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

Aha!

Als Human Resources (kurz: HR) bezeichnet man die Mittel, die ein Arbeitgeber durch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhält – z. B. Wissen, Fähigkeiten und Motivation. Das Human Resource Management heißt auch Personalmanagement oder Personalwesen. Es kümmert sich um alle Aktivitäten im Unternehmen, die mit dem Personal zusammenhängen. Bei Wacker beschäftigen sich allein in Deutschland rund 200 Menschen mit dem Personalmanagement, in unterschiedlichen Funktionen – von der klassischen Personalbetreuung über die Entwicklung bis zu Themen wie Arbeitsrecht und Abrechnung.

Wir haben an verschiedenen Standorten Sportangebote wie Pilates oder Rückentraining, zum Teil in eigenen Gymnastikräumen. Mit Kampagnen wollen wir das Bewusstsein für das Thema Gesundheit im Unternehmen stärken – wie im letzten Jahr mit dem Programm „Mehr Bewegung“. In unserer Münchner Hauptverwaltung hatten wir in der Empfangshalle Infostände aufgebaut, Mitarbeiter konnten sich beispielsweise informieren, wie man richtig läuft und joggt. Neu eingeführt haben wir ein Fahrrad-Modell: Beschäftigte können ein Fahrrad leasen, es privat und beruflich nutzen. Wichtig bei all unseren Angeboten ist die Kombination von Eigeninitiative sowie Eigenverantwortung der Beschäftigten und Unterstützung des Unternehmens. Wir bieten außerdem Gesundheitschecks an – ein wichtiges Präventionselement. Das Gesundheitsprogramm „Fit auf Schicht“ haben wir speziell für Schichtarbeiter entwickelt, um die besonderen Belastungen der Schichtarbeit zu berücksichtigen.

Wie setzen Sie Inklusion in den einzelnen Unternehmensbereichen und an sehr unterschiedlichen Arbeitsplätzen konkret um?

Da muss man immer den Einzelfall betrachten. Es gibt ganz unterschiedliche Personen, Arbeitsfelder und Einschränkungen. Wir prüfen, für welche Arbeitsplätze der jeweilige Mitarbeiter geeignet ist. Ein einfaches Beispiel: Wenn jemand keine Nachtschicht ausüben kann, suchen wir für ihn eine Aufgabe in der Tagschicht. Ein anderes Beispiel: Wir haben einen Auszubildenden mit Diabetes, der immer seine Insulinpumpe bei sich trägt. Wir haben im Vorfeld geprüft, ob das Gerät auf elektronische Geräte im Labor reagiert. Wir achten auch darauf, dass er in seinen Schichten nie allein ist. Die Sensibilisierung der Mitarbeiter und der Vorgesetzten, z. B. über Kampagnen und eine Berichterstattung in unserer Mitarbeiterzeitung, ist ebenfalls ein wichtiges Element.

Auch Arbeitsmittel wie Sehhilfen oder Lupensoftware bieten wir an; zur Vermeidung von Rückenproblemen gibt es höhenverstellbare Schreibtische. Zurzeit testen wir Hochtische und unterschiedliche Sitzgelegenheiten für ein neues, flexibleres Bürokonzept. Denn eine wichtige Frage ist auch: Wie gestaltet man Arbeitsplätze, sodass mehr Interaktion entsteht und mehr Bewegung möglich ist? Durch unsere Netzwerkdrucker bewegen sich unsere Mitarbeiter mehr als früher, als jeder einen eigenen Drucker im Büro hatte. In der Produktion ist es schwieriger, spezielle Arbeitsmittel für eingeschränkte Mitarbeiter einzusetzen, weil es hier – bedingt durch die Maschinen –  feste Abläufe gibt. In solchen Fällen versuchen wir dann, die Mitarbeiter in anderen Bereichen einzusetzen, z. B. in Lager- und Logistikbereichen.

Eine wichtige Frage ist auch: Wie gestaltet man Arbeitsplätze, sodass mehr Interaktion entsteht und mehr Bewegung möglich ist?

Das betriebliche Eingliederungsmanagement und der Umgang mit Einsatzeinschränkungen sind wichtige Themen: In strukturierten Prozessen prüfen wir – d. h. Personalabteilung, Betriebsrat, Gesundheitsdienst und Fachbereich gemeinsam –, wie wir Mitarbeiter, die aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls längere Zeit nicht arbeiten konnten, wieder ins Unternehmen eingliedern können. Dies gilt entsprechend für Mitarbeiter, die aufgrund einer Einschränkung an ihrem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr eingesetzt werden können. Unser Ziel ist es, für jeden Mitarbeiter eine individuell passende Lösung zu finden. Ein Beispiel: In einem kaufmännischen Bereich ist eine Mitarbeiterin aufgrund einer Krebserkrankung mehrere Monate ausgefallen. Nach ihrer erfolgreichen Behandlung wird sie nun Schritt für Schritt eingegliedert – ausgehend von wenigen Arbeitsstunden und geringerer Belastung, die dann nach und nach gesteigert werden kann, natürlich angepasst an die Möglichkeiten der Mitarbeiterin. Wir haben zudem eine Kooperation mit der Deutschen Rentenversicherung Süd geschlossen. Anträge auf Rehamaßnahmen werden schneller bearbeitet, der Übergang von der Rehaklinik zum Arbeitsplatz verläuft glatter.

Wacker hat die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet und verpflichtet sich damit u. a. zu einer Kultur des Respekts und der Wertschätzung. Wie vermitteln Sie intern „Vielfalt“ als Wert?

Unsere Maxime ist: Vielfalt macht uns leistungsfähiger. Vielfalt bedeutet, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Werdegängen, Kompetenzen und kulturellen Hintergründen zusammenarbeiten. Diese Einstellung vermitteln wir unseren Mitarbeitern – gerade auch den Führungskräften – gleich zum Start ihrer Karriere bei Wacker.

Vielfalt bedeutet, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Werdegängen, Kompetenzen und kulturellen Hintergründen zusammenarbeiten.

Wichtig ist, immer wieder die Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken – ob in Veranstaltungen für den Führungskreis oder Artikeln in unseren internen Medien. Am Thema Vielfalt muss man immer wieder arbeiten, es immer wieder platzieren. Letztes Jahr hatten wir im Rahmen unseres jährlichen Diversity-Tags einen Parcours für die Mitarbeiter am Standort Burghausen aufgebaut. Auch hier ging es um das Thema Vielfalt und Sensibilisierung. Was bedeutet es eigentlich, eine Einschränkung zu haben? Welche Vorurteile hat man vielleicht selbst? So konnte man sich zunächst anhand des Umrisses einer Figur sein eigenes Bild von einer unbekannten Person machen. Im Anschluss konnte man sich dann den Werdegang dieser Person anhören und erfahren, um wen es sich handelt und welche Fähigkeiten die Person hat. Das war ein echtes Aha-Erlebnis.

Wie gehen Sie bei der Neueinstellung von Menschen mit Behinderung vor?

Behinderungen sind sehr unterschiedlich. Deshalb kommt es auch hier wieder stark auf den einzelnen Menschen an. Und auf den Arbeitsplatz, für den er sich bewirbt. Wir schauen bei jeder Einstellung: Passt die Qualifikation? Dann überlegen wir gemeinsam, wie man einen Arbeitsplatz gestalten und organisieren kann. Nicht jede Behinderung ist sofort erkennbar. Und: Es gibt viele Behinderungen, die sich am Arbeitsplatz gar nicht auswirken.

Wichtig ist: den Einzelfall zu betrachten und Berührungsängste abzubauen.

Wir entscheiden immer von Fall zu Fall. Es gibt z. B. einen Mitarbeiter mit Multipler Sklerose, der nicht schwer heben darf. Hat jemand eine Sehbehinderung, wie unser Mitarbeiter Herr Kaiser, bekommt er eine entsprechende technische Ausstattung seines Arbeitsplatzes. Uns geht es darum, von Anfang an Kollegen und Führungskräfte zu sensibilisieren. Das klappt sehr gut. Natürlich sind manche Menschen anfangs vielleicht zurückhaltender oder unsicher, wie sie mit Kolleginnen oder Kollegen mit Behinderung umgehen sollen. Doch mögliche Vorbehalte werden schnell abgebaut. Unsere Kultur ist: Wenn jemand Unterstützung braucht, bekommt er sie.

Führen Sie selber Bewerbungsgespräche?

Erst einmal sprechen die Personalreferenten oder Personalleiter sowie die Vertreter der Fachbereiche mit den Bewerbern. In Einzelfällen lerne ich Bewerberinnen und Bewerber direkt kennen und bringe meine Sichtweise ein. Auch hier geht es wieder um Vielfalt: Jeder hat seine eigenen Kompetenzen und leistet seinen ganz eigenen Beitrag.

Vielfalt leben: Das fällt großen Unternehmen mit breit aufgestelltem Personalmanagement vergleichsweise leicht. Was könnten sich kleinere Unternehmen von Wacker abgucken?

Ich denke: Wichtig ist, den Einzelfall zu betrachten und Berührungsängste abzubauen. Ich glaube, auch kleinere Unternehmen haben hier Vorteile – weil man die einzelnen Kollegen und Mitarbeiter besser kennt. Die Wege sind kürzer, man kann flexibler agieren und auf Menschen eingehen. Wir haben als größeres Unternehmen viele Möglichkeiten und eine gute Infrastruktur – aber das Familiäre, das sogar Wacker als Großunternehmen auszeichnet, findet man gerade in kleineren Betrieben.