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Inklusive Arbeitswelt

Schublade „Die Krebskranke“?

„Toll, wie Du das alles meisterst!“ „Naja, normal belastbar bist Du halt nicht…“ Einerseits viel Unterstützung und Verständnis, andererseits Schubladendenken und Vorurteile: Hanna Becker (Name geändert) erlebte nach einer Lymphdrüsenkrebs-Erkrankung beides. Im Sommer 2018 hatte die junge Frau gerade eine neue Stelle in einem namhaften Architekturbüro begonnen. Nur fünf Monate nach dem Job-Start erhielt sie die Diagnose. Nach insgesamt elf Monaten Therapie, Reha und Wiedereingliederung kehrte Anna Becker an ihren Arbeitsplatz zurück. Hier fasst die junge Frau ihre Erfahrungen zusammen. Denn betriebliche Wiedereingliederung nach einer chronischen Erkrankung wird eine immer häufigere Aufgabe – für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer.

Aufsicht: Hände einer Frau zeichnen mit Lineal etwas auf einen ausgebreiteten Grundriss.

Ausgebremst: Krebsdiagnose in der Probezeit

Die Diagnose „Lymphdrüsenkrebs“ hat mein Leben von einem Tag auf den anderen durcheinandergewirbelt. Ich war ja erst 25 Jahre alt, hatte erst vor ein paar Monaten die Stelle begonnen, die ich unbedingt haben wollte. Ich stand am Anfang meines Berufslebens und wollte voll motiviert durchstarten. Dann kam die Vollbremsung. Ich habe meinem Chef gleich gesagt, was los ist. Offiziell war meine Probezeit noch gar nicht vorbei, aber er hatte mir den Job schon vorher zugesichert – und daran hat sich auch durch die Diagnose nichts geändert. Er stand also in dieser dramatischen Situation voll hinter mir.

Schritt für Schritt: zurück in den Job

Es folgten Operationen, die Therapie und die Reha. Mitte August 2019, nach rund neun Monaten Krankschreibung, bin ich zum ersten Mal wieder ins Büro gegangen. Da begann meine schrittweise betriebliche Wiedereingliederung. Mein Immunsystem war von der Chemo noch stark geschwächt und selbst wenige Arbeitsstunden haben mich noch sehr angestrengt. Wieder jeden Tag früh aufzustehen und pünktlich im Büro zu sein: Das allein war erstmal eine Herausforderung. Trotzdem war es gut für mich, zu diesem Zeitpunkt mit der Eingliederung zu starten – anstatt weiterhin ganz zu Hause zu bleiben. Mit der stufenweisen Steigerung der Arbeitsstunden konnte ich einen Schritt nach dem anderen gehen, in meinem Tempo.

„Meine Chefs hatten mehr Verständnis für meine geringere Belastbarkeit als ich selbst!“

Jobgarantie und Verständnis: die Reaktion des Arbeitgebers

Nach zweieinhalb Monaten Wiedereingliederungsphase bin ich dann wieder auf meine alte Stelle zurückgekehrt, vorerst mit einer 4-Tage-Woche. Es wird wohl noch etwas dauern, bis ich wieder problemlos eine volle 5-Tage-Woche meistern kann. Aber ich bin optimistisch und freue mich sehr, dass ich weiter für dieses Architekturbüro arbeiten kann.

Insgesamt hat mein Arbeitgeber sehr mitfühlend und fair auf meine Erkrankung reagiert. Während meiner Abwesenheit wurden meine Aufgaben auf teils ohnehin neu eingestellte Mitarbeiter verteilt. Ich konnte zurückkommen, wann und wie es für mich möglich war. Und meine Chefs hatten nach meiner Rückkehr mehr Verständnis für meine geringere Belastbarkeit als ich selbst!

„Mein Arbeitsplatz wurde bei der Diagnose nicht infrage gestellt – und wird es jetzt auch nicht.“

Meine Chefs kannten mich und meine Fähigkeiten ja noch von der Zeit vor der Diagnose, sie wissen, was ich im gesunden Zustand leiste. Deshalb haben sie Verständnis, wenn ich jetzt noch ab und zu wegen eines Infekts ausfalle oder bei einer Aufgabe noch nicht wieder die Schnellste bin. Kolleginnen und Kollegen, die mich ebenfalls von „vorher“ kannten, sind genauso mitfühlend und geduldig.

Immer noch verbreitet: Vorurteile

Aber einige aus dem Kollegium kennen mich erst seit meiner Wiedereingliederung. Manch einer sieht mich eher als „die zurückgekehrte Krebskranke“. Sie nehmen mich nicht als eine gut ausgebildete Architektin wahr, die viel von ihrem Fach versteht – auch wenn sie länger krank war. Das fuchst mich sehr. Aber es ist die Kraft nicht wert, sich darüber zu ärgern.

„Niemand würde ein ganzes Buch nur auf ein Kapitel reduzieren. Das Leben einer ehemaligen Krebspatientin aber offenbar schon.“

Diese Vorbehalte gegenüber schwer erkrankten Menschen erlebe ich aber leider auch abseits der Arbeitswelt. Mit einer Krebsdiagnose wirst du von einigen Menschen schnell in eine Schublade gesteckt. Alles, was du bisher in deinem Leben erreicht hast – und sei es noch so herausragend –, wird von dem veralteten Bild eines Krebskranken überlagert. Niemand würde ein ganzes Buch nur auf ein Kapitel reduzieren. Das Leben einer ehemaligen Krebspatientin aber offenbar schon. Wenn ich mich eines Tages in meiner ländlichen Heimat niederlassen möchte und zum Hausbau einen Kredit benötige, ist es besser, der Nachbar weiß nichts von meiner früheren Erkrankung. In meinem privaten Umfeld sind deshalb auch nur die engsten Familienmitglieder und besten Freunde eingeweiht. Ich hoffe, dass es bald viel selbstverständlicher werden wird, Menschen nach einer Krebserkrankung wieder als „ganz normal“ aufzunehmen – in die Arbeitswelt und in die Gesellschaft.

Hanna Becker, Architektin, 27 Jahre