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Inklusive Arbeitswelt

Worum geht es?

Wann spricht man von einer Schwerbehinderung? Welche Unternehmen müssen Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen? Kann man sich Inklusion in der heutigen Arbeitswelt leisten? Hier finden Sie kurz und anschaulich die wichtigsten Fakten.

Junge Frau mit Rollstuhl im Büro.

Grad der Behinderung

Schwerbehindert ist ein Mensch, wenn der Grad seiner Behinderung (GdB) mindestens 50 beträgt. „Grad“ heißt: die Schwere der Behinderung. Ein GdB von 50 oder mehr bedeutet für den Menschen oftmals eine erhebliche Einschränkung (z. B. der Beweglichkeit oder Sehfähigkeit). Ab einem GdB von 50 können Betroffene einen Schwerbehindertenausweis erhalten, den es mittlerweile im modernen Scheckkartenformat gibt.

Mit einem GdB ab 30 können Menschen mit einer Behinderung eine Gleichstellung beantragen. Damit können sie einige Rechte und Leistungen für Menschen mit Schwerbehinderung in Anspruch nehmen.

Von leistungsgewandelten Beschäftigten spricht man, wenn Menschen im Laufe ihres Berufslebens eine Behinderung erwerben. Ursache kann z. B. ein Unfall oder eine Erkrankung sein.

„Behindert“ ist nicht nur der Rollstuhlfahrer

Die meisten denken beim Stichwort „(Schwer-)Behinderung“ an gehbehinderte, blinde, gehörlose oder geistig behinderte Menschen. Doch eine Behinderung ist oft nicht sichtbar, z. B. wenn innere Organe beeinträchtigt sind. Beispiele: schweres Asthma, Zuckerkrankheit (Diabetes), Nieren-, Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen. Auch psychische Erkrankungen können zu einer Schwerbehinderung führen.

Fast jeder Elfte ist betroffen

Mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland haben eine Schwerbehinderung – das ist fast jeder elfte Mensch. Drei Viertel aller betroffenen Menschen sind 55 Jahre oder älter. Das bedeutet:

  • Die meisten Menschen kommen nicht mit einer Behinderung zur Welt, sondern erwerben sie im Laufe ihres Lebens – z. B. durch einen Unfall oder eine Erkrankung.
  • Durch den demografischen Wandel wird die Zahl der betroffenen Menschen weiter steigen.
  • Das bedeutet für Arbeitgeber: Es geht nicht nur darum, Menschen mit Schwerbehinderung neu einzustellen, sondern auch darum, die, die im Laufe ihres Erwerbslebens erkranken (und dadurch behindert werden), im Arbeitsleben zu halten. Eine Behinderung kann schon morgen jemanden aus Ihrem Team treffen. Oder auch Sie selbst.

Lesen Sie hier: Wie die AUDI AG die Arbeitsplätze von Beschäftigten mit Schwerbehinderung sichert.

Der Grad der Behinderung sagt nichts darüber aus, wie leistungsfähig ein Mensch im Beruf ist!

Eine junge Frau hat eine Körperbehinderung. In ihrem Beruf als Bürokraft ist sie engagiert und leistungsstark. Sie muss nur regelmäßig aufstehen und einige Schritte laufen. Das ist alles? Das ist alles. Doch allein der Hinweis auf die Schwerbehinderung reichte aus, dass ihr Weg aus der Regelschule über die Ausbildung im Berufsbildungswerk in die Langzeitarbeitslosigkeit führte. Erst bei einem schwäbischen Unternehmen bekam sie eine Chance. Und das Unternehmen eine Leistungsträgerin.

Lesen Sie hier: Wie Carina Schneider von heute auf morgen zur Leistungsträgerin wurde.

Tipp für Arbeitgeber: Schauen Sie nicht nur aufs Papier. Sehen Sie sich den Menschen an. Ob Praktikum oder Probezeit: Nutzen Sie die Chance und finden Sie heraus, ob Sie gut miteinander arbeiten könn(t)en.

Inklusion bedeutet in der Arbeitswelt:

Menschen mit Behinderung haben dieselben Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt wie andere Jobsuchende.

Ob in Betrieben, Verwaltungen oder Organisationen: Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten selbstverständlich miteinander. Vorgesetzte leben Akzeptanz, Fairness und gegenseitige Hilfsbereitschaft vor. Dabei werden Beschäftigte mit Behinderung nicht „bevorzugt“, sondern so unterstützt, dass sie eine bestmögliche Leistung erbringen können.

Arbeitsplätze, Arbeitsabläufe und Arbeitszeitmodelle werden ggf. an die Bedürfnisse der Beschäftigten mit Behinderung angepasst. Einige Beispiele:

  • Am Arbeitsplatz eines gehörlosen Lageristen werden akustische Signale durch Lichtsignale ersetzt. Die Verständigung mit Vorgesetzten und Kollegen klappt gut, denn der Mitarbeiter kann Lippenlesen und sprechen; wichtige Informationen bekommt er schriftlich. Bei Mitarbeitergesprächen, Teammeetings oder Betriebsversammlungen übersetzen Gebärdensprachdolmetscher (vor Ort oder online zugeschaltet).
  • Der Computer einer blinden Software-Entwicklerin wird u. a. mit einer Braille-Zeile nachgerüstet. Die Wege zwischen Eingang, Büro, Besprechungsraum und Kantine übt sie mit einer Begleitung ein. An Bedientasten – z. B. im Lift und am Kaffeeautomaten – werden Tastmarkierungen angebracht.
  • Ein Verwaltungsmitarbeiter sitzt wegen einer angeborenen Muskelschwäche im Elektrorollstuhl. Der Eingang zum Gebäude ist ebenerdig; sein Büro kann er problemlos mit dem Aufzug erreichen. Eine Toilette wird rollstuhlgerecht umgerüstet; dafür werden zwei Kabinen zu einer zusammengelegt. Bei der Arbeit wird der Mitarbeiter zeitweise von einer Assistenz unterstützt.

Auch der Freistaat Bayern fördert Arbeitgeber, die schwerbehinderte Menschen beschäftigen, bei der Einrichtung von individuell angepassten, barrierefreien Arbeitsplätzen. Auch Beschäftigte mit Schwerbehinderung können finanziell unterstützt werden, z. B. wenn sie eine Arbeitsassistenz brauchen.

Mehr erfahren über Fördermöglichkeiten

Wichtigste Anlaufstelle für Arbeitgeber und Jobsuchende bzw. Beschäftigte mit Behinderung ist das Inklusionsamt. In Bayern werden seine Aufgaben durch das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) und seine sieben Regionalstellen wahrgenommen: Infos und Links zum ZBFS Inklusionsamt

  • Vorsichtiger Aufwärtstrend: Bundesweit ist die Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung stetig gestiegen – und zwar stärker als die Zahl betroffener Menschen in der Bevölkerung. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit, „Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Die Arbeitsmarktsituation von schwerbehinderten Menschen“, Mai 2018)
  • Ganz schön produktiv: Hätten Sie’s gedacht? Die anteilig meisten Menschen mit Schwerbehinderung sind im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt, gefolgt vom öffentlichen Dienst. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit, „Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Die Arbeitsmarktsituation von schwerbehinderten Menschen“, Mai 2018)
  • Arbeitslose Menschen mit Schwerbehinderung sind gut qualifiziert. 60 Prozent hatten 2017 einen Berufs- oder Hochschulabschluss. Rund 40 Prozent suchten eine Helfertätigkeit. Bei arbeitslosen Menschen ohne Schwerbehinderung liegt dieser Anteil bei 45 Prozent. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktsituation von schwerbehinderten Menschen“, Mai 2018)
  • Trotzdem finden Menschen mit Schwerbehinderung nach wie vor seltener eine Stelle am ersten Arbeitsmarkt.
  • Unternehmen, die ihre Pflichtquote bei der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung nicht erfüllen, müssen eine Ausgleichsabgabe entrichten.
  • U. a. aus Mitteln der Ausgleichsabgabe werden Menschen mit Behinderung und Arbeitgeber finanziell gefördert. Ein wichtiger Posten dabei sind die Lohnkostenzuschüsse. Sie gleichen besondere Belastungen aus, die mit der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung entstehen können. Im Jahr 2017 erhielten Arbeitgeber (einschließlich Integrationsprojekte) Lohnkostenzuschüsse in Höhe von 43,7 Millionen Euro. (Quelle: ZBFS, Tätigkeitsbericht 2018)
  • Bayern verlängert die Förderung aus dem Bund-Länder-Programm „Initiative Inklusion“ aus Landesausgleichsabgabemitteln bis Ende 2018. Die Fördersumme pro neuem Arbeits- oder Ausbildungsplatz beträgt bis zu 10.000 Euro.
  • Das ZBFS-Inklusionsamt bietet Beratung zu allen Fragen rund um Ausbildung und Einstellung von Menschen mit Behinderung, die Sicherung bestehender Arbeitsverhältnisse, die Kündigung und die Ausgleichsabgabe, außerdem Begleitung und finanzielle Förderung.

 

Mehr erfahren: Förderung durch das ZBFS-Inklusionsamt

 

 

Der größte Teil der betroffenen Menschen kommt nicht mit einer Schwerbehinderung zur Welt, sondern erwirbt sie im Laufe des (Berufs-)Lebens. Infolge des demografischen Wandels und der längeren Lebensarbeitszeit wird die Zahl von Beschäftigten mit Schwerbehinderung weiter steigen.

Das bedeutet, dass nicht nur jeder Beschäftigte eines Tages von Behinderung betroffen sein kann, sondern auch jeder Arbeitgeber: Sobald nämlich bei einem seiner Beschäftigten eine (Schwer-)Behinderung festgestellt wird.

Ursachen für eine erworbene (also nicht angeborene) Schwerbehinderung sind z. B.

  • Schäden am Skelettsystem, z. B. an den Bandscheiben, den Hüft- oder Kniegelenken
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • psychische Erkrankungen, z. B. Depressionen
  • Arbeits- oder Freizeitunfälle

Viele betroffene Menschen könn(t)en weiter arbeiten, wenn ihre Arbeitsbedingungen bedarfsgerecht angepasst werden – oder sie sich für eine andere Tätigkeit weiterbilden. Das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) spricht ihnen hierfür Hilfen zu.

Einige Beispiele:

  • Ein Sachbearbeiter mit chronischem Rückenleiden bekommt einen höhenverstellbaren Schreibtisch, an dem er wahlweise sitzend oder stehend arbeiten kann.
  • Eine Abteilungsleiterin kehrt nach einer Krebserkrankung ins Unternehmen zurück. Sie arbeitet nun teilweise im Home-Office. Dienstreisen zu anderen Standorten werden durch Videokonferenzen ersetzt.
  • Ein Facharbeiter ist nach einem Autounfall gehbehindert. Mit einer Weiterbildung qualifiziert er sich für überwiegend organisatorische Aufgaben in der Produktion.

Alle Betriebe, die im Jahresmittel monatlich über mindestens 20 Arbeitsplätze verfügen, müssen auf wenigstens 5 Prozent (Pflichtquote) der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen.

Pflichtquote – generell gilt:
Arbeitsplätze Menschen mit Schwerbehinderung

Mindestens 20 Arbeitsplätze1) 2)

1) Pro Monat im Jahresmittel
2) Ausbildungsplätze werden nicht eingerechnet.
Mindestens 5 Prozent Beschäftigte mit Schwerbehinderung
Beispiele zur Pflichtquote:
Arbeitsplätze Menschen mit Schwerbehinderung
Ein Handwerksbetrieb hat 12 Arbeitsplätze. Der Betrieb muss keine Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen (tut er es freiwillig, wird er bei Bedarf mit Rat, Tat und ggf. Fördermitteln unterstützt).
Ein Familienunternehmen hat 41 Arbeitsplätze. Das Unternehmen muss mindestens 2 Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen.
Ein Konzern hat 28.000 Arbeitsplätze. Der Konzern muss mindestens 1.400 Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen.

In mehr als drei Vierteln der inklusiv arbeitenden Unternehmen ist man überzeugt: Es gibt keine generellen Leistungsunterschiede zwischen Beschäftigten mit und ohne Behinderung. Dies ist ein Ergebnis des Inklusionsbarometers Arbeit 2015 der Aktion Mensch.

Mehr erfahren: Ergebnisse der Inklusionsbarometer 2013 bis 2015

Ein Forschungsprojekt der Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit der AUDI AG zeigt u. a.: Inklusive Teams sind innovativer. Leistungsgewandelte Beschäftigte sind seltener krank. Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen weniger Fehler.

Mehr erfahren: Ergebnisse aus der Audi-Studie

Inklusion ist eine Win-win-win-Situation für die Betroffenen, die Arbeitgeber und letztlich die Gesellschaft.

Ende 2014 feierte der „JobErfolg“ Jubiläum. Dieser Preis für Inklusion in der Arbeitswelt wurde zum zehnten Mal verliehen. Beim Festakt im Bayerischen Landtag machten Akteure aus Wirtschaft, Politik und Interessensverbänden klar: Wenn man sie richtig anpackt, ist Inklusion ein Erfolgsmodell in kleinen und großen Betrieben.

  • „Es geht – genauso, wie ich Gesetze beachten muss in anderen Bereichen. So richtig schwer ist das eigentlich nicht. Das Drama ist, dass sich viele Management-Kollegen dieser Management-Aufgabe nicht stellen.“
    Stephan-Johannes Reinhold, Geschäftsführer der CEWE-Stiftung (Preisträger „JobErfolg“ 2014)
  • „Wenn man etwas will, dann findet man auch Wege.“
    Barbara Stamm, Präsidentin des Bayerischen Landtags, bei der Feier zur zehnten Verleihung des „JobErfolgs“ im Dezember 2014
  • „Wir haben in den letzten Jahren unsere Organisation reformiert. In diesem Zuge haben wir noch mehr Menschen mit Behinderung eingestellt, jetzt sind es 23. Die sind integriert. Es ist die Frage: Versucht man es, traut sich der direkte Vorgesetzte das zu? Aber dann halten alle zusammen und es funktioniert.“
    Hubert Obermayr, Polizeidirektor, VI. Bereitschaftspolizeiabteilung Dachau (Preisträger „JobErfolg“ 2014)

So richtig schwer ist das eigentlich nicht.

Glossar

Schwerbehinderung

Schwerbehindert ist ein Mensch, wenn der Grad seiner Behinderung (GdB) mindestens 50 beträgt. „Grad“ heißt: die Schwere der Behinderung. Ein GdB von 50 oder mehr bedeutet für den Menschen oftmals eine erhebliche Einschränkung (z. B. der Beweglichkeit oder Sehfähigkeit). Ab einem GdB von 50 können Betroffene einen Schwerbehindertenausweis erhalten, den es mittlerweile im modernen Scheckkartenformat gibt.

Grad der Behinderung

Der Grad der Behinderung (GdB) beträgt mindestens 50. „Grad“ heißt: die Schwere der Behinderung. Ein GdB von 50 oder mehr bedeutet für den Menschen oftmals eine erhebliche Einschränkung (z. B. der Beweglichkeit oder Sehfähigkeit). Ab einem GdB von 50 können Betroffene einen Schwerbehindertenausweis erhalten, den es mittlerweile im modernen Scheckkartenformat gibt.

Gleichstellung

Die Agentur für Arbeit kann Menschen mit einem geringeren Grad der Behinderung (mindestens 30 bis unter 50) Menschen mit Schwerbehinderung gleichstellen. Dann können z. B. Lohnkostenzuschüsse, Hilfen zur Arbeitsplatzausstattung und eine Betreuung durch Fachdienste gewährt werden. Voraussetzung: Die betroffenen Menschen könnten ohne die Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz bekommen oder behalten. Die gesetzliche Grundlage liefert § 2 Abs. 3 SGB IX.

Inklusion

Inklusion heißt, dass Menschen mit Behinderung ihr Leben nicht mehr an vorhandene Strukturen anpassen müssen, sondern dass die Gesellschaft Strukturen schafft, die es jedem Menschen ermöglichen, selbstbestimmt und selbstständig an allen Bereichen des Lebens teilzuhaben.

Braille-Zeile

Ein Gerät, das blinde Menschen an Computer anschließen können. Es gibt alle Texte in tastbarer Punktschrift (Braille) aus. Umgewandelt werden die Texte von einem Screen-Reader.

Arbeitsassistenz

Eine Arbeitsassistentin bzw. ein Arbeitsassistent unterstützt einen Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz. Je nach Bedarf ist sie für ihn Auge, Ohr oder Hand. Arbeitsassistenz leisten Menschen im Bufdi (Bundesfreiwilligendienst) oder FJS (Freiwilliges Soziales Jahr), aber auch Fachkräfte wie Gebärdensprachdolmetschende. Unter bestimmten Voraussetzungen übernimmt das Inklusionsamt die Kosten – v. a. über das Persönliche Budget.

Leistungsgewandelt

Wenn ein Mensch im Lauf seines Berufslebens eine gesundheitliche Einschränkung bekommt und diese von der Arbeitsmedizin bestätigt wird, dann gilt er als „leistungsgewandelt“. Eine Schwerbehinderung führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer Leistungswandlung, vor allem dann nicht, wenn die Behinderung keine Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit hat.